GEGENREDE

Datum: 12.9.2008

Sehr geehrter Herr ...,

haben Sie Dank für Ihre E-Mail, in der Sie die Auffassung vertreten, ein funktionierendes Modell eines "kapitalistischen" Wirtschaftssystems sei nicht möglich - und deshalb auch keine soziale Marktwirtschaft.

Sie stellen die Frage, wie die SPD zu dieser Aussage stehe. Für die mehr als 527.000 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands kann ich nicht sprechen, aber meine persönlichen Überlegungen dazu teile ich Ihnen gern mit.

Sie fordern in Ihrem Modell, die Preissumme P müsse größer als die monatliche Lohnsummenausgabe L sein, weil der Unternehmer einen Gewinn machen müsse. Diese Forderung begründen Sie leider nicht. Nach Ihren Worten hat der Unternehmer zum einen keinen Privatkonsum. Zum anderen soll die Preissumme in Ihrem Modell ja offenbar über die Zeit konstant bleiben. Damit entfallen die beiden möglichen Gründe, die einen Gewinn notwendig machen könnten. Es gibt also keinen Widerspruch zu der Annahme: L=P=U. Das Modell "funktioniert".

Die Wirklichkeit ist natürlich sehr viel komplizierter und damit auch die Modelle, um sie angemessen vereinfacht zu beschreiben. Zugegeben, manches deutet darauf hin, dass überholte Modelle in der Wirtschaftswissenschaft sich zäher halten als in anderen Fächern. Wirtschaftsnobelpreisträger Reinhard Selten hat das für sein Fach in einem Vortrag im Januar hier in Berlin selbstkritisch eingeräumt und als wichtigsten Grund einen ganz menschlichen genannt: Es dauert Jahre, bis sich ein Ökonom das umfangreiche Theoriegebäude seiner Zunft angeeignet hat. Umso skeptischer ist er dann, wenn jemand kommt, der eine Theorie widerlegt haben will und damit einen Teil der investierten Mühe entwerten würde.

Dennoch: Obwohl wie Prof. Ortlieb in dem von Ihnen angeführten Vortrag "Methodische Probleme und methodische Fehler der mathematischen Modellierung in der Volkswirtschaftslehre" richtig schreibt, Experimente kaum möglich sind, gibt es stattdessen doch immerhin die Möglichkeiten der Spieltheorie, mit denen ebenfalls falsche Theorien erkannt werden können. Dazu ist es auch nötig, daß Wissenschaftler sich über Fachgrenzen hinweg zusammensetzen. Prof. Ortlieb hat seinen Vortrag jedoch offenbar nur vor seinen Fachkollegen gehalten. Was er bei den Ökonomen nicht sagt, können diese nicht hören. Vielleicht regen Sie ihn an, seine Ideen einmal vor wirtschaftswissenschaftlichem Publikum vorzutragen? Ich will es mit diesem eher praktischen Vorschlag dazu bewenden lassen. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich als gelernter Informatiker und Biologe nicht den passenden Hintergrund habe, detailliert etwas zu Inhalten des Vortrages zu sagen. Der zweite Text "Exit0107CPOMarkt.pdf" war auf der von Ihnen angegebenen Website übrigens nicht auffindbar.

- Es gibt aber auch noch einen ganz pragmatischen Grund, warum ich bei der Beurteilung der Wirtschaftswissenschaft Ihre Skepsis nicht vollständig nachvollziehen kann. In Deutschland wurde im letzten Jahr ein Bruttoinlandsprodukt von über 2,4 Billionen Euro umgesetzt, Schwarzarbeit und ähnliches nicht eingerechnet. Und das auf der Grundlage von wirtschaftlichen Theorien, die demnach so völlig falsch nicht sein können. Dass es an vielen Stellen klemmt, dass manches falsch läuft und einiges im Argen liegt, bestreite ich nicht. Zusammen mit meinen Parteifreunden arbeite ich täglich daran, dass es besser wird.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Kelber

GEGENREDE

Datum: 12.9.2008

Sehr geehrter Herr Kelber,
1)
vielen Dank für die kritische Durchsicht meiner Modellierung. Ihre Kritik berücksichtigend, verändere ich das Modell wie folgt:

Modell:
1) Der Unternehmer verwendet einen Teil der Arbeitszeit der in seinem Unternehmen Beschäftigten, um Lebensmittel und die dazu benötigten Investitionsgüter (zur Herstellung dieser Lebensmittel) zu produzieren.
Alle produzierten Lebensmittel werden an die Beschäftigten (u.a. auch an an den Unternehmer selbst, denn er ist auch ein Beschäftigter - z.B. Geschäftsführer - des Unternehmens) als Lohn ausbezahlt.

2) Da der Unternehmer (zusätzlich zu seinem Lohn) auch noch Gewinn machen will (dies setze ich voraus, da dies eine Bedingung für einen funktionierenden Kapitalismus darstellt), läßt er die Beschäftigten während des Produktionszyklus die restliche Arbeitszeit dafür arbeiten, um langlebige Vermögenswerte (das können keine Lebensmittel (sind verderblich) oder Investitionsgüter (nutzen sich ab) sein) wie z.B. Gold zu produzieren (einen Teil des Goldes kann er auch noch als weiteren Lohn einbehalten).

Dieses Modell würde zwar keine Überproduktion liefern, da der Unternehmer nur Vermögenswerte ansammelt. Allerdings würde dieses "Design" einen "parasitären Kapitalismus" modellieren, da der Unternehmer über seinen Lohn _hinaus_ noch einen Gewinn macht, den nicht er allein, sondern die bei ihm Beschäftigten (also auch er, aber als Beschäftigter), erwirtschaftet haben (das was er zur Produktion beigetragen hat, wurde ihm ja schon als Lohn ausgezahlt).

Wenn man also einen nicht "parasitären Kapitalismus" modellieren will, muß der Unternehmer zumindest einen Teil seines Gewinns reinvestieren.
Dann hat man allerdings folgende Probleme:
a) Investition als Lohn in neue Mitarbeiter geht nur eine begrenzte Zeit, weil es nur endlich viele Menschen auf der Insel gibt. Irgendwann können dann keine Menschen mehr eingestellt werden. b) Die ganze Investition als Lohnerhöhung an die produktiver werdenden Beschäftigten. Dies deckt sich aber nicht mit der "kapitalistischen" Praxis. Ein Unternehmer steckt nicht seine ganze Investition als Lohn in die Mitarbeiter.

Frage:
Was muss an dem Modell abgeändert werden, damit es den "Kapitalismus" besser beschreibt?

2)
a) Ich bitte Sie, Prof. Ortlieb vorzuschlagen, seine Ideen einmal vor wirtschaftswissenschaftlichem Publikum vorzutragen, indem Sie ihm eine email senden..
b) Falls Sie Interesse an "Exit0107CPOMarkt.pdf" haben, sende ich Ihnen dieses Dokument zu.

mfg
...

GEGENREDE

Datum: 15.9.2008

Sehr geehrter Herr ...,

die Diskussion um wirtschaftswissenschaftliche Theorien sind spannend und ihr Ergebnisse für die Politik wichtig.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich zur weiteren Diskussion der Thesen vorschlage, sich an die mit solchen Diskursen beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Universitäten zu wenden. Dort werden Ihre Modellierungsvorschläge sicherlich interessante kritische Debatten auslösen.

Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für Ihre Forschungstätigkeiten


Ulrich Kelber