Datum: 3.4.2008
Sehr geehrter Herr Zwiener,
I)
... versuche ich schon lange ein möglichst _einfaches_ Modell eines Wirtschaftssystems zu finden, das man dann in einem EDV-Programm implementieren kann. Über die "Metallzeitung" bin ich zu Ihrer Adresse gelangt.
Ich habe folgendes einfache Modell entwickelt:
1)
Das Modell
Voraussetzungen:
Es gibt in diesem extrem einfachen Modell (z.B. auf einer uns unbekannten Insel mit z.B. 50 Menschen) nur einen
Unternehmer, bei dem alle Bewohner dieses Wirtschaftsraums (außer dem Unternehmer selbst)
als Beschäftigte arbeiten und bei dem alle Beschäftigten deshalb einkaufen müssen.
Der Unternehmer zahlt allen Beschäftigten insgesamt pro Monat die Lohnsumme L. Die Lohnsumme sei die einzige Ausgabe die der Unternehmer hat. Der Unternehmer hat keinen Privatkonsum.
Der Unternehmer muss alle seine Produkte monatlich insgesamt zu einer Preissumme P verkaufen, die größer als seine monatliche Lohnsummenausgabe L ist. Dies ist notwendig, damit er einen Gewinn macht (L ist eine Ausgabe, P ist die erwartete Einnahme, wenn er alles verkaufen würde). Also muß gelten:
P > L
Der Umsatz kommt von dem Geld der Bewohner her, das diese bei diesem Unternehmen ausgeben, wenn sie einkaufen. Da aber jeder Bewohner Beschäftigter des Unternehmens ist, ist der Umsatz des Unternehmens maximal der Lohnsumme (wenn nämlich alle Bewohner nichts sparen). Es gilt also:
U <= L
Damit gilt insgesamt:
U < P
Das heißt der Unternehmer kann nicht alle Waren verkaufen (Überproduktion).
Das Modell "funktioniert" also nicht!!
2)
Deshalb habe ich folgende Fragen dazu:
a) Muss prinzipiell in diese Modelle noch eine Institution (Bank, die Geld druckt) eingefügt werden, die Geld herstellt und dieses Geld der Waremenge, die jeden Monat neu in den Wirtschaftskreislauf kommt, anpasst ?
Wie kommt dieses Geld dann in den Umlauf. Wer bekommt es ?
Die Beschäftigten etwa, damit sie alle Waren aufkaufen können oder die Unternehmer ?
b) Kann ein Modell mit nur einem Unternehmer prinzipiell nicht funktionieren ?
c) Muss notwendig der private Unternehmerkonsum und die Vermögensanhäufung (Sparen) der Beschäftigten in dieses Modell aufgenommen werden?
d) Zusammenfassend gefragt:
Wie muss ein möglichst einfaches Modell aussehen, damit es "funktioniert" und man es als EDV-Programm abbilden kann?
Da Sie sich mit Simulationen der Volkswirtschaft, Ökonometrie und Wirtschaftstheorie beschäftigen, bitte ich Sie recht herzlich, mir diese Frage zu beantworten.
mfg
...
GEGENREDE
Datum: 4.4.2008
Sehr geehrter Herr ...,
Eigentlich beschäftige ich mich ja mit sehr viel komplexeren Modellen (über 100 Gleichungen), in denen die Zusammenhänge mit Hilfe der Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung geschätzt werden.
Nun aber zu Ihrem kleinen Modellfall. Aus meiner Sicht gibt es bei Ihnen zwar keine Überproduktion, aber auch keinen Gewinn, weil der Unternehmer seine Preise reduzieren muß, weil die Nachfrage seiner Beschäftigten nicht hoch genug ist.
Auch in den komplexeren Modellen hängt der Gewinn von der Nachfrage ab. Um Ihr Modell etwas realitätsnäher zu machen, sollten Sie Produktionsmittel (Investitionen) einführen, die durch Ersparnisse des Unternehmers finanziert werden und die der Unternehmer auch selbst herstellen lässt.
Der Unternehmer hat dann Ausgaben für die Löhne (L), für seine Investitionen (I) und für seinen eigenen Konsum (KU). Die gesamte Nachfrage (N) setzt sich aus I, KU und dem Kosum der Arbeitnehmer (KA) zusammen.
Damit der Unternehmer Gewinn (G) machen kann, müssen seine Einnahmen (gleich Gesamtnachfrage) über seinen Ausgaben liegen, also G = N - L. In diesem extrem einfachen Beispiel ohne Staat, Ausland und ohne Sparquote der Arbeitnehmer hängt der Gewinn des Unternehmers nur noch davon ab, dass er selbst möglichst viel konsumiert und investiert.
Im Prinzip ist das die Keynes'sche Verteilungsgleichung. Da er sich kein Geld leihen kann, muss er allerdings zwangsläufig sowohl die Investitionen als auch seinen eigenen Kosnum aus Gewinn finanzieren. Wenn jetzt die Investitionen auch noch dazu führen, dass er mehr oder kostengünstiger produzieren kann, dann kann er entweder die Löhne erhöhen (bzw. die Preise senken) oder selbst mehr konsumieren. Dann wird das Modell dynamisch.
In diesem Inselsystem hat Geld nur eine Tauschfunktion. Es ist nicht Mittel zur Ersparnisbildung. Genauso gut könnte der Unternehmer seine Leute direkt mit Waren bezahlen (ohne Geld). Es reicht ein Unternehmer aus.
Je mehr Unternehmen es gibt, umso schwieriger wird es unter normalen Bedingungen, die Arbeitnehmer "auszubeuten", weil diese ja dann zu einem anderen Unternehmen gehen können. Sobald die Arbeitnehmer sparen, reduzieren sie die Nachfrage und der Gewinn des Unternehmers geht zurück. Mit jeder Erweiterung des Modells gibt es neue Möglichkeiten.
So, das war eine kurze Antwort. Ich hoffe, sie hilft etwas weiter.
Viele Grüße
Rudolf Zwiener
GEGENREDE
Datum: 6.4.2008
Sehr geehrter Herr Zwiener,
vielen, herzlichen Dank für Ihre Antwort.
I)
>Nun aber zu Ihrem kleinen Modellfall. Aus meiner Sicht gibt es
>bei Ihnen zwar keine Überproduktion, aber auch keinen Gewinn,
>weil der Unternehmer seine Preise reduzieren muß, weil die Nachfrage
>seiner Beschäftigten nicht hoch genug ist.
>
Das ist gerade der Punkt: Wenn der Unternehmer _alle_ seine Waren verkaufen würde, müsste er seine Preise so weit senken, dass er keinen Gewinn mehr macht.
Da er aber nach Voraussetzung des Modells Gewinn macht, _muss_ es eine Überproduktion geben.
Meine Vermutung:
Eine kapitalistische Wirtschaft, die nicht expandieren kann, landet sofort in einer Überproduktionskrise.
Wenn der Unternehmer in meinem Beispiel (des letzten emails) nach dem 1. Produktionszyklus (mit der Überproduktion) neue Beschäftigte einstellt, kann er diesen die Überproduktion des letzten Produktionszyklus als Lohn geben.
Die neuen Beschäftigten stellen währenddessen in diesem Produktionszyklus nur Investitionsgüter her.
Deshalb funktioniert das _nur_ mit einem _expandierenden_ Kapitalismus, d.h. nur wenn immer _neue_ Beschäftigte eingestellt werden. Da es aber nur _endlich_ viele Beschäftigte gibt, landet man irgendwann doch in einer Überproduktionskrise.
Was meinen Sie dazu ?
II) Hier ein Beispiel, bei dem mein Anliegen hoffentlich etwas klarer wird:
1)
Vereinfachte Annahmen:
a) Ein Unternehmen stellt Arbeitnehmerkonsum (z.B. Brötchen) her und die dazu nötigen Investitionsgüter (z.B. Teigmaschinen), die keinen Verschleiß haben, nie kaputt gehen und immer funktionieren.
b) Wenn die Beschäftigten (nennen wir diese Anzahl 1 BE) einen ganzen Zeitabschnitt (jeder Zeitabschnitt soll z.B. 1 Monat lang sein) lang nur Arbeitnehmerkonsum (z.B. Brötchen) herstellen, nennen wir diese Menge 1 AKE
Wenn die Beschäftigten einen ganzen Zeitabschnitt lang nur Investitionsgüter (z.B. Teigmaschinen) herstellen, nennen wir diese Menge 1 IGE
c) Nur die Hälfte dessen, was die Beschäftigten in einem Zeitabschnitt herstellen, bekommen sie als Lohn. Dieser wird in Form des Arbeitnehmerkonsums (z.B. Brötchen) "ausgezahlt". Den Rest kassiert der Unternehmer.
Der Gesamtlohn der Beschäftigten pro Zeitabschnitt ist also 0,5 AKE pro 1 BE
= 0,5 IGE pro 1 BE
d) Im 1 .Zeitabschnitt erarbeiten die Beschäftigten _nur_ die Investitionsgüter (z.B. Teigmaschinen), weil es ja noch keine Investitionsgüter gibt, die man zur Herstellung des Arbeiterkonsums benötigt, d.h. Arbeitnehmerkonsum (hier: Brötchen) wird nicht hergestellt.
Die Beschäftigten schenken ihren Lohn dem Unternehmer.
(man könnte statt des Geschenks, dies dem Unternehmer in Rechnung stellen und in einem späteren Produktionszyklus wieder auszahlen lassen).
2)
Produktion innerhalb der verschiedenen Zeiteinheiten:
-------------------------------------------
1. Zeitabschnitt:
Der Unternehmer kassiert 1 IGE, den die Beschäftigten produziert haben.
1 BE 1 IGE
-------------------------------------------
2. Zeitabschnitt:
Da jetzt die Investitionsgüter alle existieren, produzieren die 1 BE Beschäftigten damit nur noch die Brötchen, also 1 AKE.
Da aber nur 0,5 AKE als Lohn ausbezahlt werden, hätte der Unternehmer 0,5 AKE Überproduktion. Deshalb stellt er 1 BE neue Beschäftigte ein, die nur noch Investitionsgüter herstellen (1 IGE).
1 BE 1 AKE
1 BE 1 IGE (neu eingestellte Beschäftigte)
Es wird 1 AKE produziert. Damit zahlt er den Lohn an die insgesamt 2BE. Also keine Überproduktion.
-------------------------------------------
3. Zeitabschnitt:
Da jetzt die Investitionsgüter alle existieren, produzieren die 2 BE Beschäftigten damit nur noch die Brötchen, also 2 AKE.
Da aber nur 1 AKE als Lohn ausbezahlt werden, hätte der Unternehmer 1 AKE Überproduktion. Deshalb stellt er 2 BE neue Beschäftigte ein, die nur noch Investitionsgüter herstellen (2 IGE).
2 BE 2 AKE
2 BE 2 IGE (neu eingestellte Beschäftigte)
Es wird 2 AKE produziert. Damit zahlt er den Lohn an die insgesamt 4 BE. Also keine Überproduktion.
-------------------------------------------
4. Zeitabschnitt:
Da jetzt die Investitionsgüter alle existieren, produzieren die 4 BE Beschäftigten damit nur noch die Brötchen, also 4 AKE.
Da aber nur 2 AKE als Lohn ausbezahlt werden, hätte der Unternehmer 2 AKE Überproduktion. Deshalb stellt er 4 NB neue Beschäftigte ein, die nur noch Investitionsgüter herstellen (4 IGE).
4 BE 4 AKE
4 BE 4 IGE (neu eingestellte Beschäftigte)
Es wird 4 AKE produziert. Damit zahlt er den Lohn an die insgesamt 8 BE. Also keine Überproduktion.
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mfg
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GEGENREDE
Datum: 7.4.2008
Sehr geehrter Herr ...,
Nur eine kurze Anwort.
1) Der Unternehmer macht nur dann Gewinn, wenn er selbst mit dazu beiträgt, dass die Nachfrage hoch ist. Ohne entsprechende Nachfrage wird der Gewinn kleiner oder verschwindet ganz. Anders formuliert, die Kapazitäten sollten möglichst gut ausgelastet sein.
2) Der Kapitalismus erzeugt permanent Produktivitätseffekte. Es ist nicht das Problem, dass immer mehr Beschäftigte benötigt würden, sondern dass immer weniger Beschäftigte für die gleiche Produktionsmenge gebracuht werden. Also muss entweder die Nachfrage steigen oder das Arbeitsangebot muß über Arbeitszeitverkürzungen reduziert werden. Auch sollte der Lohn mindestens so stark steigen wie die Produktivität, damit die Beschäftigten beteiligt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Zwiener
GEGENREDE
Datum: 19.4.2008
Sehr geehrter Herr Zwiener,
> 2) Der Kapitalismus erzeugt permanent Produktivitätseffekte.
>Es ist nicht das Problem, dass immer mehr Beschäftigte benötigt würden,
>sondern dass immer weniger Beschäftigte für die gleiche Produktionsmenge
>gebracuht werden. Also muss entweder die Nachfrage steigen oder das
>Arbeitsangebot muß über Arbeitszeitverkürzungen reduziert werden.
>Auch sollte der Lohn mindestens so stark steigen wie die Produktivität,
>damit die Beschäftigten beteiligt werden.
>
Wenn ich die Produktivitätseffekte, d.h.die laufend höhere Produktivität in mein Modell einbeziehe, stellt der Unternehmer (bei gleicher Beschäftigungsanzahl) in der gleichen Zeit noch mehr Waren (Brötchen her).
Er muss also, um Überproduktion zu vermeiden, im nächsten Produktionsszyklus noch mehr Arbeiter einstellen.
Um es kurz zu machen:
Können Sie mir ein _konkretes_ Modell mit ein paar konkreten Modellszenarien (z.B. wie ich es mit den verschiedenen Produktionszyklen gemacht habe) angeben, in dem das kapitalistische Wirtschaftssystem _nicht_ zu einer Überproduktion führt?
mfg
...