Im folgenden soll der Begriff "Kapitalismus" als Abkürzung für eine wie auch immer geartete
Marktwirtschaft ("ökologische", "soziale", "grüne", "rote", "linke", "freie", usw.) stehen.
Problem:
"Die Unternehmer sagen: Löhne runter, weil sie Kosten sind.
Die Gewerkschaftsfunktionäre sagen: Löhne rauf, damit mehr gekauft werden kann. Dies kurbelt die Wirtschaft an."
Die Politiker sagen: Wählt uns, damit wir an den Knöpfen des großen Mischpults des "kapitalistischen" Wirtschaftssystems
richtig drehen, um so die Wirtschaft den Menschen dienen zu lassen.
Wem soll man "glauben"?
Und vor allem:
Warum soll man wem "glauben", wenn selbst die Verfechter einer kapitalistischen Ökonomie nicht einmal in der Lage sind
ein idealisiertes Modell dieses angeblich "zeitlich stabilen" Systems so präzise zu beschreiben,
daß es simuliert und auf einem Rechner implementiert werden kann.
Stichworte: agentenbasierte Modellierung, künstliches Wirtschaftssystem, Unterkonsumtionskrise, Unterkonsumtionstheorie, Überproduktionskrise
1. Gedankenexperiment:
Ein "guter" Unternehmensberater berät alle Unternehmen auf dem abgeschlossenen Wirtschaftssystem Planet Erde,
so dass alle Profit machen.
Dann bekommt der Unternehmensberater alle Unternehmen geschenkt.
Er hat damit ein Gesamtunternehmen.
Macht dieses Gesamtunternehmen auch Gewinn ?
2. Gedankenexperiment:
Modellvoraussetzungen:
V1)
Jeder Unternehmer wird in seinem Unternehmen als Geschäftsführer beschäftigt.
Er spielt in dieser Hinsicht die Rolle eines Beschäftigten
und bekommt - wie alle anderen Beschäftigten - einen Lohn ausgezahlt.
V2)
Jedes Unternehmen darf nur so viel Lohn auszahlen, dass es noch Gewinn macht.
V3)
Löhne = 0
2 Unternehmer U1 und U2, kein Zins
Profitrate := output/input = 2
Schritt 1:
U1 besitzt Anfangswaren, die es zum Preis P an U2 verkauft.
Kontostand nach dem Verkauf:
U1 U2
P -P
Schritt 2:
U2 macht aus den zum Preis P eingekauften Waren neue Waren zum Preis 2P (weil Profitrate=2) und verkauft sie an U1.
Kontostand nach dem Verkauf:
U1 U2
-P P
Schritt 3:
U1 macht aus den zum Preis 2P eingekauften Waren neue Waren zum Preis 4P (weil Profitrate=2) und verkauft sie an U2.
Kontostand nach dem Verkauf:
U1 U2
3P -3P
Schritt 4:
U2 macht aus den zum Preis 4P eingekauften Waren neue Waren zum Preis 8P (weil Profitrate=2) und verkauft sie an U1.
Kontostand nach dem Verkauf:
U1 U2
-5P 5P
...
Man sieht:
Die Kontenstände wachsen über alle Grenzen (Kollaps).
Wie kann man das Modell abändern, damit die Parameter nicht über allen Grenzen wachsen?
Das Gleiche als Powerpoint-Präsentation:
simulation1.ppt
3. Gedankenexperiment:
1)
Firmen sollen Gewinne machen, damit der Staat diese besteuern und damit existieren kann.
So sagt es zumindest die "Theorie" bzw. die Standarderzählung.
Wenn einige Firmen im _Durchschnitt_ über eine lange Zeit (in the long run) immer Gewinne machen,
dann bedeutet das, dass diese immer (im Durchschnitt) mehr verkaufen müssen als einkaufen. (auf Gedleinheiten bezogen).
Das bedeutet, dass es Firmen geben muss, die im Durschnitt immer mehr einkaufen als verkaufen.
Das sind dann die Verlierer, denn die gehen Pleite.
Bei einem Modell mit z.B. genau 2 Unternehmern A und B macht A genau dann laufend Gewinne,
wenn er mehr Waren an B verkauft als von diesem einkauft.
Das bedeutet, daß B mehr Waren einkauft als an A verkauft, was bedeutet, daß B laufend Verluste macht.
2)
Um das zu vermeiden, müssen alle Firmen im _Durchschnitt_ den Gewinn 0 machen.
Das sind dann aber auch Verlierer (Nullsummenspiel).
Denn bei einer Firma die im _Durchschnitt_ den Gewinn 0 macht, wird sich vermutlich kein Kapitalist
darauf einlassen sein Kapital (Geld) in diese Firma zu investieren, da dieses nicht vermehrt wird.
Warum soll er eine Investition (=Spekulation, bei der man auch verlieren kann!) tätigen, die sich nicht für ihn lohnt?
Es findet keine Kapitalverwertung mehr statt.
Die Firma fliegt auch aus dem Markt raus und geht Pleite.
3)
Frage:
Wie soll eine kapitalistische Ökonomie zumindest theoretisch (als Modell) - in the long run - krisenfrei funktionieren ?
Ist es z.B. noch notwendig, daß ein Staat (mit Staatsverschuldung) und Banken in das Modell integriert werden?
Wie genau soll ein möglichst einfaches Modell aussehen?
Zur Vereinfachung wurden in diesem Modell die Löhne der Beschaftigten mit 0 angesetzt.
4. Gedankenexperiment: (mit Befrageungen an "Experten")
Das (hier vorgestellte) einfachste Modell) (nicht expandierender Kapitalismus, keine Neueinstellungen)
Voraussetzungen:
Es gibt in diesem extrem einfachen Modell (z.B. auf einer uns unbekannten Insel mit z.B. 50 Menschen) nur einen Unternehmer,
bei dem alle Bewohner dieses Wirtschaftsraums (außer dem Unternehmer selbst) als Beschäftigte arbeiten
und bei dem alle Beschäftigten deshalb einkaufen müssen. Der Unternehmer zahlt allen Beschäftigten insgesamt pro Monat die Lohnsumme L.
Die Lohnsumme sei die einzige Ausgabe die der Unternehmer hat. Der Unternehmer hat keinen Privatkonsum.
Der Unternehmer muss alle seine Produkte monatlich insgesamt zu einer Preissumme P verkaufen,
die größer als seine monatliche Lohnsummenausgabe L ist.
Dies ist notwendig, damit er einen Gewinn macht (L ist eine Ausgabe, P ist die erwartete Einnahme, wenn er alles verkaufen würde).
Also muß gelten:
P > L
Der Umsatz kommt von dem Geld der Bewohner her, das diese bei diesem Unternehmen ausgeben, wenn sie einkaufen.
Da aber jeder Bewohner Beschäftigter des Unternehmens ist, ist der Umsatz des Unternehmens maximal der Lohnsumme
(wenn nämlich alle Bewohner nichts sparen).
Es gilt also:
U <= L
Damit gilt insgesamt:
U < P
Das heißt der Unternehmer kann nicht alle Waren verkaufen (Überproduktion).
Das Modell "funktioniert" also nicht,
5. Gedankenexperiment:
Dazu ein interessanter Artikel in "Spektrum der Wissenschaft", November 2015, S. 18
Das Märchen von der Selbstregulation des Marktes
Auf dem Energiesektor führt das freie Spiel der Kräfte zum Kollaps
Die Wirtschaft ist - wie das Wetter - ein komplexes Phänomen, das sich nicht durch einfache Modelle beschreiben lässt.
Doch während niemand auf die Idee käme, ein Klimamodell aufzustellen, in dem der lokale Ausgleich der Temperaturunterschiede
global zu dauerhaft mildem Wetter führt, behauptet das Standardmodell der Marktwirtschaft genau dies:
Angebot und Nachfrage pendeln sich in freiem Wechselspiel zu Preisen ein, welche die optimale Verteilung aller Güter garantieren.
...
An der Universität Bremen hat nun eine Gruppe theorischer Physiker um Stefan Bornholdt die "Ökonophysik anpassungsfähiger Energiemärkte"
untersucht und in Simulationen demonstriert, dass solche Märkte zu katastrophalem Kollaps neigen (Physical Review E92, 012815, 2015).
...